Physiker-Projekt
Inhaltsübersicht
- Autor und Werk
- Inhaltszusammenfassung
- Charakteristiken der Hauptfiguren
- Aufbau und Untersuchung der Dramenform
- Dürrenmatts Dramentheorie - 21 Punkte zu den Physikern
- Interpretation des Dramas - Die Verantwortung des Menschen für seine Welt
- Aktualität des Dramas
1. Autor und Werk
Friedrich Dürrenmatt ist am 5.1.1921 in Konolfingen (Kanton Bern) als Sohn eines protestantischen Pfarrers geboren. Er erwarb in Bern die Maturität und studierte in Zürich und Bern Literatur, Naturwissenschaften und Philosophie. Er schwankte zwischen dem Beruf des Malers und dem als Schriftsteller, für den er sich schließlich entschieden hat. Aber er hat auch immer gemalt und gezeichnet. Dürrenmatts Bilder und Skizzen machen deutlich, dass für ihn das Theater eine „Verbindung zwischen Malerei und Schreiben“ war. Dürrenmatt erlag dann schließlich am 14.12.1990 einem Herzinfarkt.
Dürrenmatts literarisches Werk umfasst 30 Bände. Seine Werke sind vielfältig und erstrecken sich von der Antike bis hin zur heutigen Zeit. Sie beschäftigen sich mit dem Kriminellen und Machtverstrickungen.
Dürrenmatts wichtigste Werke:
- 1950/52: Der Richter und sein Henker
- 1951/53: Der Verdacht
- 1955: Grieche sucht Griechin
- 1956: Die Panne
- 1956: Der Besuch der alten Dame
- 1957: Abendstunde im Spätherbst
- 1958: Das Versprechen
- 20.2.1962: Uraufführung „Die Physiker“ im Schauspielhaus Zürich
Dürrenmatts wichtigste Auszeichnungen:
- 1959 Mannheimer Schillerpreis
- 1960 Großer Preis der Schweizerischen Schillerstiftung
- 1969 Ehrendoktorwürde der Temple University/ Philadelphia
- 1977 Buber-Rosenzweig-Medaille
- 1986 Georg-Büchner-Preis
- 1989 Ernst- Robert-Curtius-Preis für Essayistik
- 1989 Goldene Schallplatte
Beurteilung seines Werks „Die Physiker“
Johann F. Janka beschreibt in seiner kritischen Würdigung des Buches „Die Physiker“, dass Friedrich Dürrenmatt diese Kriminal-Kurzgeschichte auf faszinierende Weise sehr humorvoll und auf höchstem Niveau erzählt. Des Weiteren betont er die Gabe Dürrenmatts, die pointierte Auflösung der Handlung als Knalleffekt in Szene zu setzen und den Leser immer näher an den wahren Hintergrund seines Werkes heranzuführen. „Sehr empfehlenswert!“ Ein anonymes Zitat aus dem Internet bewertet das Buch als gut, mit der Begründung, dass die Problematik in humorvollen aber doch ernst gemeinten Sätzen formuliert ist. Dürrenmatt habe das Buch durchaus realistisch und keineswegs langweilig geschrieben, zu bemängeln sei nur, dass dieses Verwechslungsspiel, welches die Physiker treiben, teilweise sehr verwirrend sein könne.
2. Inhaltszusammenfassung
Die Handlung des Dramas spielt zum großen Teil im Salon eines Irrenhauses, dessen Patienten unter anderem drei Physiker sind. Aufgrund ihres besonderen Status als Physiker sind sie getrennt von der Anstalt in einem Neubau nahe der Villa untergebracht. Dr. Mathilde von Zahnd ist für die Leitung der Anstalt und das Wohlergehen aller Patienten verantwortlich. Die Ausgangsbasis für das Fortlaufen der Geschichte findet sich in der Ermordung einer Krankenschwester, die vom Physiker Ernesti, der sich selbst für Einstein hält, umgebracht worden war. Als Voß, der Polizeiinspektor, der mit der Untersuchung dieses Falls beauftragt ist auftaucht, erscheint Newton, ein zweiter Physiker, der mit bürgerlichem Namen Beutler heißt. Er gibt zu, ebenfalls eine Krankenschwester umgebracht zu haben. Da sich die Situation zunehmend gefährlicher gestaltet, rät Inspektor Voß Frl. Dr. von Zahnd, in Zukunft starke Männer als Pfleger einzusetzen. Bald darauf erscheint Frau Rose - die Ex-Frau von Möbius - zusammen mit ihrem neuen Mann und ihren drei Kindern. Um seiner Familie den Abschied zu erleichtern - diese sind auf dem Weg zu den Marianen (Inselgruppe im Pazifik. Sie war von 1899 bis 1918 deutsche Kolonie.) - markiert er den Irren. Er jagt seiner Familie Angst ein und bringt sie so dazu, zu gehen. Als Schwester Monika erfährt, dass Möbius sich von seiner Familie endgültig verabschiedet hat, nützt sie die Gelegenheit ihm ihre Liebe zu gestehen. Sie schlägt ihm vor, gemeinsam ein neues Leben außerhalb der Irrenanstalt zu beginnen. Daraufhin erdrosselt Möbius sie.
Aufgrund des dritten Mords innerhalb kurzer Zeit, werden nun starke Pfleger eingesetzt und die Anstalt schottet sich von der Außenwelt ab. Beim gemeinsamen Mittagessen gesteht Newton, dessen wirklicher Name Kilton ist, der Begründer der Entsprechungslehre zu sein und dass er Möbius ausspionieren wollte. Kurz darauf „outet“ sich auch Einstein. Er arbeitet im echten Leben für einen Geheimdienst und heißt Eisler, der Entdecker des Eisler-Effekts. Nun gibt auch Möbius zu, nicht verrückt zu sein. Er gesteht zudem, die so genannte „Weltformel“ entdeckt zu haben, diese jedoch aus Angst vor verheeren Folgen für die Menschheit bisher heimgehalten zu haben. Aus diesem Grund hat er sich auch in die Irrenanstalt begeben. Als Physiker sei es ihrer aller Aufgabe, zu forschen und die Dinge zu hinterfragen, aber wozu ihre Ergebnisse verwendet würden, liege leider nicht in ihrer Hand. Möbius erklärt, die Manuskripte verbrannt zu haben, da er die Welt noch nicht für reif genug dafür hält. Als die Leiterin des Hauses, Frl. Dr. von Zahnd, erscheint, müssen sie erkennen, dass ihre Identität schon lange bekannt ist. Frl. Dr. von Zahnd hat alle Manuskripte von Möbius kopiert und will die Weltherrschaft an sich reißen. Die Physiker sind nun völlig eingeschlossen im Irrenhaus und können nie wieder ein normales Leben führen, da sie als Geisteskranke abgestempelt sind. Eine Lösung oder Möglichkeit aus dem Atomproblem weiß auch Dürrenmatt in seinem Drama „Die Physiker“ nicht.
3. Charakteristiken der Hauptfiguren
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Johann Wilhelm Möbius
Er ist ein 40 Jahre alter Mann, der seit 15 Jahren im Irrenhaus lebt. Zunächst als verrückt dargestellt, wird später deutlich, dass er ein genialer Physiker ist, der versucht, durch seinen Aufenthalt im Irrenhaus die Menschheit vor seinen Erkenntnissen zu schützen. Um seine Entdeckungen zu verheimlichen und zu verdeutlichen, verrückt zu sein, gibt er vor, dass ihm König Salomo erscheine. Beim Abschiedsbesuch seiner Ex-Frau Lina (die den Missionar Rose geheiratet hat) gibt er vor, sie und ihre gemeinsamen Jungen nicht wieder zu erkennen. Da Schwester Monika sein Spiel durchschaut hat, tötet er sie, obwohl er etwas für sie empfindet, um die Welt vor seinen Erfindungen zu retten. Unglücklicherweise wird er von verschiedenen Organisationen ausspioniert und so verbrennt er seine Unterlagen, ohne zu wissen, dass Frl. Doktor von Zahnd diese heimlich kopiert hat.
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Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd
Mathilde von Zahnd, eine 55 jährige Irrenärztin, ist die Besitzerin des Sanatoriums und das letzte Mitglied einer alten Adelsfamilie. Zu Beginn des Stückes wird sie als einfühlsame und fürsorgliche Ärztin dargestellt. Doch am Ende wird klar, dass nur sie die einzig Verrückte in dem Stück ist. Im letzten Akt zeigt sie sich von ihrer skrupellosen und machtbesessenen Seite, weshalb sie sich auch die Manuskripte von Möbius zu eigen macht.
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Kommissar Richard Voß
Richard Voß ist ein gebildeter Mann von mittlerem Alter. Durch einige Mordfälle innerhalb kurzer Zeit wird er zu einer bedeutenden Rolle, durch welche er die Handlung vorantreibt. Im ersten Akt versucht er, die Schuldigen zu bestrafen, dies wird aber durch die „verrückten“ Regeln des Irrenhauses verhindert. Im zweiten Akt findet er sich mit den Regeln ab und akzeptiert, dass ihm in diesem Fall die Hände gebunden sind.
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Einstein
Einsteins wirklicher Name ist Joseph Eisler, er lässt sich aber unter dem Namen Ernst Heinrich Ernesti in die Psychatrie einweisen. Er gibt vor, sich für Einstein zu halten, ist in Wirklichkeit aber ein Agent, der Möbius beobachtet und versucht, den genialen Physiker zu überzeugen, seinem Geheimbund beizutreten. Newton, der ebenfalls Geheimagent ist, versucht auch, Möbius für sich zu gewinnen und steht somit in direkter Konkurrenz zu Einstein. Einstein erdrosselt seine Krankenschwester Irene, weil sie erkannte, dass er nicht wirklich verrückt ist und somit seine Tarnung in Gefahr bringt. Seiner Meinung nach muss man die Physik im Namen der Machtpolitik eines bestimmten Landes verpflichten.
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Newton
Newtons wirklicher Name ist Alex Jasper Kilton, er ist aber in der Klinik unter dem Namen Herbert Georg Beutler bekannt. Auch er gibt vor, verrückt zu sein, indem er behauptet, Newton zu sein, dem Inspektor und der Ärztin aber auch erzählt, dass er in Wahrheit Einstein ist, aber Ernst Heinrich Ernesti nicht verwirren möchte, weil dieser sich ja schon für Einstein hält. Er ist ebenfalls Geheimagent aber für eine andere Gesellschaft tätig als Eisler, versucht auch Möbius auf seine Seite zu ziehen und ist somit Konkurrent von Eisler. Newton tötete seine Krankenschwester Dorothea, weil auch sie herausfand, dass er nicht krank ist und er nicht zulassen konnte, dass sie seine Tarnung auffliegen lässt. Kiltons Auffassung in Bezug auf die Wissenschaft ist, dass sie die Verantwortung gegenüber der Menschheit trägt und auch die Folgen für ihre Entdeckungen tragen muss.
4. Aufbau und Untersuchung der Dramenform
In der Literatur gibt es zwei verschiedene Aufbautypen des Dramas:
- Geschlossenes Drama: Idealvorstellung des Aufbaus eines klassischen Dramas, bestehend aus 5 Akten
- Offenes Drama: Abweichung von diesem klassischen Aufbau
„Die Physiker“ zählt zu den offenen Dramen. Dies kann man anhand folgender Merkmale erkennen: Das Drama besteht aus nur 2 Akten und ist nicht unterteilt in Szenen. Die Handlung erstreckt sich über weite Zeiträume, denn die Morde passieren in größeren Abständen. Zwischen dem 1. und dem 2. Akt findet ein Zeitsprung statt. Die Handlung setzt unvermittelt ein ohne direkte Exposition. In dem Drama treten viele Figuren auf. Der Sprachstil ist an der Alltagssprache orientiert. Der gesamte Aufbau des Dramas „Die Physiker“ unterscheidet sich wesentlich von dem eines geschlossenen Dramas.
Aufbau eines geschlossenen Dramas (5 Akte):
- Akt 1: Exposition: Einleitung
- Akt 2: Erregendes Moment: Ingangsetzung des Konflikts
- Akt 3: Peripetie: Höhe- und Wendepunkt
- Akt 4: Retardierendes Moment: Verlangsamung der Handlung à Hinauszögerung der Spannung
- Akt 5: Katastrophe oder Lösung
Aufbau der Physiker:
- Akt 1
Exposition: wo: Nervenheilanstalt wann: Gegenwart wer: 3 Physiker Vermutung: Irrsinn durch Radioaktivität
Zuspitzung: Weitere Isolation von der Außenwelt
Enthüllung 1. Teil: Möbius ist nicht verrückt (oder doch) - Akt 2
Retardation: Beginn des 2. Aktes (fast) identisch mit Beginn des 1. Aktes
Enthüllung 2. Teil: Identität und Motive der Physiker (Klassischer Höhepunkt)
Enthüllung 3. Teil: das wahre Gesicht des Frl. Dr. v. Zahnd (schlimmst mögliche Wendung)
Die beiden Akte sind sehr ähnlich aufgebaut. Man kann sie beide grob in drei Szenen unterteilen (siehe auch oben). Am Anfang des jeweiligen Aktes steht immer die Untersuchungsszene mit dem Inspektor. Als zweite Szene folgt dann im 1. Akt die Szene mit der Familie Rose, im 2. die Enthüllungsszene von Einstein und Newton. Als letzte Szene kommt dann im 1. Akt die Szene der Ermordung von Schwester Monika, im 2. die Enthüllungsszene von Frl. Doktor von Zahnd. In beiden Akten ist ein Höhepunkt erkennbar, wobei der eigentliche Höhepunkt im 2. Akt liegt. Auffällig ist außerdem, dass beide Akte mit dem Geigenspiel Einsteins enden. Im Gegensatz zum parallelen Aufbau steht jedoch, dass sich die Personen im 2. Akt völlig anders, im Prinzip gegenteilig verhalten als im 1. Akt.
5. Dürrenmatts Dramentheorie - 21 Punkte zu den Physikern
Durch seine Dramen versuchte Friedrich Dürrenmatt den Zuschauer bzw. Leser zum eigenständigen Nachdenken anzuregen. Dazu benutzte er das Mittel der Verfremdung. Unter dem Verfremdungs-Effekt versteht man, dass allgemein Anerkanntes hinterfragt wird und die Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Strukturen offenbart wird. Am Ende des Dramas führt Friedrich Dürrenmatt die 21 Punkte zu den Physikern an, in welchen seine Dramentheorie deutlich wird. Man kann diese Punkte in verschiedene Kategorien einteilen:
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Wendung des Dramas
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Zufall als Grundgerüst der „Physiker“
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Paradoxes im Drama
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Physik im Drama
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Lösung
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Die Wirklichkeit im Paradoxen
Wendung des Dramas
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Punkt 3: Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.
Das Drama nimmt seine schlimmstmögliche Wendung in der Szene, als Marthilde von Zahnd verrückt wird und zugibt, die Aufzeichnungen von Möbius kopiert zu haben. Daher hat sie nun die Möglichkeit, die Welt zu zerstören. Zufall als Grundgerüst der Physiker -
Punkt 4: Die schlimmstmögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein.
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Punkt 5: Die Kunst des Dramatikers besteht darin, in einer Handlung den Zufall möglichst wirksam einzusetzen.
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Punkt 6: Träger einer dramatischen Handlung sind Menschen.
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Punkt 7: Der Zufall in einer dramatischen Handlung besteht darin, wann und wo wer zufällig wem begegnet.
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Punkt 8: Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.
Nicht die genaue Planung der Spione bewirkt das tragische Ende des Dramas, sondern der zufällig auftretende Irrsinn der Ärztin von Zahnd. Dieser Schluss des Stückes lässt sich davor in keiner Weise auch nur erahnen. Dürrenmatt befolgt damit seine Dramentheorie, er setzt den Zufall so in Szene, dass er den Zuschauer tatsächlich überrascht, wenn nicht sogar überrumpelt, und so einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt.
Das Paradoxe im Drama
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Punkt 10: Eine solche Geschichte ist zwar grotesk, aber nicht absurd (sinnwidrig).
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Punkt 11: Sie ist paradox.
Definitionen:
grotesk: - fantastisch verzerrt - übertreibende, witzige Erzählung oder Drama - wunderlich - merkwürdig, überspannt - stellt das Paradoxe und die Wirklichkeit dar - kann zu Grauen oder Lachen führen - seltsam, komisch
absurd: - widersinnig - sinnlos - Ausdrucksform des Theaters, die die Entfremdung des Menschen von sich selbst und seiner Umwelt aufzeigen will; getriebene Vorgänge oder kreisende Rituale ersetzen die Handlung; Schein und Wirklichkeit liegen auf einer Ebene
paradox: - widersinnig - Bezeichnung für eine eigenartige Ansicht, die von der allgemein üblichen stark abweicht und dem gesunden Menschenverstand widerspricht
Wenn man für absurd (Punkt 10), die Definition „sinnlos“ einsetzt und für grotesk „seltsam“, dann ergibt sich der Satz: Eine solche Geschichte ist zwar seltsam, aber nicht sinnlos. Dürrenmatt will damit ausdrücken, dass das Drama „Die Physiker“ zwar verrückt und seltsam wirkt, dass aber die Geschichte trotzdem einen Sinn hat. Der Sinn dieses Dramas besteht darin, dass der Leser am Ende eine Erkenntnis zieht, nämlich dass niemand etwas alleine lösen kann, was alle angeht. Es gibt also einen Grund, wieso er „Die Physiker“ geschrieben hat. Er will die Menschen wachrütteln und auf die Gefahren der Wissenschaft hinweisen. Man könnte das Drama mit den Gleichnissen vergleichen, die Jesus seinen Jüngern erzählte. Denn auch er wollte seine Jünger bzw. die Menschen auf etwas hinweisen und dazu bringen, eine Lehre für die Zukunft daraus zu ziehen. -
Punkt 12: Ebenso wenig wie die Logiker können die Dramatiker das Paradoxe vermeiden.
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Punkt 13: Ebenso wenig wie die Logiker können die Physiker das Paradoxe vermeiden.
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Punkt 14: Ein Drama über die Physiker muß paradox sein.
Die Punkte 12-14 weisen einen Syllogismus auf, das heißt ein logisches Schlussverfahren. Dürrenmatts 12. Punkt lässt sich aus seiner Ansicht zur Wirklichkeit herleiten. Seiner Meinung nach ist die Welt in einem grotesken Zustand und das Wort „grotesk“ stellt das Paradoxe und gleichzeitig auch die Wirklichkeit dar. Da die Dramatiker auch das Ziel haben, einen Teil der Wirklichkeit darzustellen, müssen sie sich auch mit dem Paradoxen befassen. Den 13. Punkt kann man so erklären, dass sich die Physiker eben mit der Welt befassen und die Welt Dürrenmatt zufolge aus Paradoxem besteht. Daher müssen sie sich auch mit dem Paradoxen beschäftigen. Aus diesen zwei Punkten zieht er nun den Schluss, dass ein Drama über die Physiker paradox sein muss.
Physik im Drama
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Punkt 15: Es kann nicht den Inhalt der Physik zum Ziele haben, sondern nur ihre Auswirkung.
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Punkt 16: Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkung alle Menschen.
Das Drama beweist die Unmöglichkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse langfristig geheim zu halten. Es wird über kurz oder lang immer jemandem gelingen, die Innovation bekannt zu machen. Gründe dafür sind z.B. Profitsucht und Machtstreben, welche nur schwer unterbunden werden können. Stellvertretend wird diese Rolle in „Die Physiker“ von Mathilde von Zahnd vertreten: „Nun werde ich mächtiger sein, als meine Väter“. Eine Dauerhafte Geheimhaltung ist unmöglich! Möbius: „Auch gibt es keine Möglichkeit, Denkbares geheim zu halten. Jeder Denkprozess ist wiederholbar. (...) Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden“. „Wir müssen unser Wissen zurücknehmen, und ich habe es zurückgenommen. Es gibt keine andere Lösung (...)“. Das Stück ist ein Appell an die Wissenschaft, manches Denkbare nicht zu denken Lösung -
Punkt 17: Was alle angeht, können nur alle lösen.
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Punkt 18: Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muß scheitern.
Der Versuch des Physikers Möbius, die Welt von den womöglich katastrophalen Folgen seiner Entdeckung zu beschützen, schlägt fehl. Möbius will ganz alleine, ohne Einbeziehung anderer, ein Problem lösen, dass für die ganze Welt von Bedeutung ist und kann daher nach Dürrenmatts Dramentheorie nur scheitern. Die Wirklichkeit im Paradoxen -
Punkt 19: Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit.
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Punkt 20: Wer dem Paradoxen gegenübersteht, setzt sich der Wirklichkeit aus.
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Punkt 21: Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten, sich der Wirklichkeit auszusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu bewältigen.
Der Zuschauer/Leser erkennt das behandelte Problem nicht trotz, sondern gerade wegen der paradoxen Darstellung. Durch die äußerst groteske Situation findet die Problematik der „Physiker“ durch ein Hintertürchen den Eingang in den Kopf des Zuschauers, der sich dann damit auseinandersetzen muss, weil das Thema viel zu brisant und die Geschichte zu bizarr und paradox ist, um sie einfach nach dem Theaterbesuch oder der Lektüre des Dramas wieder zu vergessen. Das Ziel des Stückes ist nicht die Lösung des Problems, sondern „nur“, den Zuschauer/Leser anzuregen, darüber gewissenhaft nachzudenken und eine eigene Meinung zum behandelten Thema zu entwickeln.
6. Interpretation des Dramas
Das Drama „Die Physiker" von Dürrenmatt befasst sich mit dem Schicksal eines Wissenschaftlers, der sich, um sein Wissen geheim zu halten, in einem Irrenhaus versteckt.
Interpretation der Gesamtaussage des Textes
Dürrenmatts Drama ist von der Weltpolitischen Lage zu seiner Entstehungszeit (1961-1962) geprägt, in der ein Atomkrieg fast unvermeidlich schien. Dürrenmatt verurteilt beide Seiten indem er sie beschuldigt, die Wissenschaft zu ihren Machtpolitischen Zwecken auszunutzen, er sagt sie „verpflichten die Physik im Namen (...) der Machtpolitik eines einzelnen Landes.“ (S.72). Somit nähmen sie der Wissenschaft ihre Grundlage, die Freiheit und die Unabhängigkeit, die Ungebundenheit, die die Wissenschaft als Selbstzweck erst ermöglicht. Außerdem prangert er den Krieg an und entzieht ihm durch die übertriebene Darstellung der Gleichheit der beiden Konfliktpartner jede vernünftige Grundlage. So kann man das Drama mit Sicherheit als damals aktuelles kriegskritisches Stück betrachten.
Außerdem befasst sich das Stück wie kein zweites mit der Situation der modernen Wissenschaft, ihrer Macht und ihrer Verantwortung. Wissen ist über ein paar Umwege Macht. Jeder Staat ist von der Wissenschaft abhängig, er „(...) muss der Wissenschaft aus der Hand fressen.“ (S.70). Die Sache der Wissenschaft ist es auch zu entscheiden ob man diese Macht für die eine oder andere Seite einsetzt, oder für die Freiheit der Wissenschaft. Und daraus resultiert die Verantwortung der Wissenschaft, „denn es gibt gewisse Risiken, die man nie eingehen darf: der Untergang der Menschheit ist ein solches“ (S.73). Mit der Frage wie man dieser Verantwortung gerecht wird beschäftigt sich Dürrenmatts Drama.
Verantwortung für wissenschaftliche Neuheiten
Wissen über neue wissenschaftliche Ergebnisse bedeutet auch die Macht darüber zu besitzen. Man muss für dieses Wissen die volle Verantwortung übernehmen, wie es im Buch Möbius versucht, damit diese Macht nicht falsch eingesetzt werden kann, wie es die Ärztin vor hatte. Ein zu leichtfertiger Umgang mit der Verantwortung, würde verheerende Folgen für die gesamte Menschheit bedeuten. Doch ist es nicht leicht zu beurteilen, wer mit solch einer Verantwortung umgehen kann und wer nicht, wer sie kontrolliert oder wer sie missbraucht. Natürlich ist niemand im Stande zu behaupten, er selbst könne damit umgehen, ein anderer aber nicht, dennoch zeigt Möbius durch den Versuch seine Erfindung zu verstecken, dass er sich den Folgen bewusst ist und kein Risiko eingehen will, wo hingegen die übrigen Figuren versuchen möglichst viel Gewinn zu machen. Auch ist es schwierig sich seiner Verantwortung entziehen zu wollen, denn entweder versteckt man sein unglaubliches Wissen, wie es Dürrenmatt beschreibt und früher oder später erlangt ein anderer die selben Erkenntnisse oder man gibt sein Wissen weiter und stellt sich dem, was folgen kann.
In beiden Fällen ist es möglich, dass die Verantwortung bei den falschen liegt, die ihre Macht ausschließlich für die eigenen Ziele ausnützen und keinerlei Verantwortung für ihre Mitmenschen übernehmen. Im Drama, die Physiker, liegt die Macht am Ende eindeutig in den falschen Händen, nämlich in den Händen einer Verrückten, die auf großen Profit hofft und der, der sein Leben für den Schutz der Menschheit komplett verändert, so geht er am Ende „leer“ aus. Auch wenn man die Folgen nicht direkt erfährt, sieht man an dieser Geschichte, dass selbst wenn man es versucht der Fortschritt nicht aufgehalten werden kann und egal ob durch diese Ärztin oder jemanden, der auch zu diesen Erkenntnissen gelangt, kommt das Wissen, also auch die Macht, so gut wie immer zum Vorschein.
Verantwortung der Wissenschaft für die Menschheit
In der Komödie „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt geht es um das Thema der Verantwortung der Wissenschaft für die Menschheit. Dem Zuschauer stellt sich die Frage, ob Physiker manche Erfindungen und Entdeckungen zum Schutz vor Missbrauch der Öffentlichkeit nicht vorbehalten sollten. Eine solche Erfindung ist in „Die Physiker“ konkret die Atombombe. Dürrenmatt verfasste das Drama 1961, so dass sich vermuten lässt, dass vor allem der Kalte Krieg Anlass war für diese Aufforderung, als Physiker auch die Folgen einer Erfindung abzuschätzen. Vermutlich wollte der Autor mit seinem Werk aufzeigen, welche Folgen Erfindungen wie die Atombombe in Spannungssituationen haben können.
Zwar ist die Gefahr eines dritten Weltkrieges heutzutage nicht mehr so präsent, wie noch zu Zeiten Dürrenmatts, doch wird über die Verantwortung der Wissenschaft für die Menschheit auch heute noch gestritten. So sind Erfindungen im Bereich der Biochemie oder der Kernphysik sicherlich ein großer Fortschritt. Allerdings besteht bei ihnen auch stets die Gefahr des Missbrauchs. Dasselbe Problem stellt sich bei der Zell- und Genforschung. Während mit der Manipulation von sowohl menschlichen als auch pflanzlichen Genen in Deutschland sehr streng umgegangen wird, ist in anderen Ländern der EU in diesem Bereich weitaus mehr erlaubt. Immer wieder wird deshalb das Argument angeführt, dass Deutschland wirtschaftliche Nachteile erleidet, da es als Standort in diesem Bereich forschender Unternehmen nicht in Frage kommt. Es heißt, Deutschland verschließe sich der Zukunft. Des Weiteren hat beispielsweise die Veränderung von embryonalen Genen auch Vorteile. So können Behinderungen und chronische Erkrankungen, die frühzeitig erkannt werden, noch vor der Geburt verhindert werden. Dem gegenüber stehen natürlich ethische Gründe. So stellt sich die Frage, in wie weit man in das Leben von Menschen eingreifen sollte. Sollte man Behinderungen nicht als gewöhnlich ansehen und akzeptieren?
Um bei diesem Thema zu bleiben: Auch die Definition von Behinderung ist unklar. Das Erlauben von Manipulationen an menschlichen Zellen könnte so beispielsweise dazu führen, dass jedes Makel bis - überspitzt dargestellt - zur Augenfarbe in Zukunft abgeändert wird, so dass alle Menschen gemäß dem Schönheitsideal aussehen. Doch auch in der Landwirtschaft ist das Thema der Genforschung umstritten. In einem Modellversuch wurde in Deutschland unter strengen Vorschriften zwar erstmals Mais genetisch manipuliert, doch auch hier gibt es zahlreiche Kritiker. So ist ungeklärt, ob der Verzehr transgener Pflanzen beim Menschen Schäden nach sich ziehen kann. Zu all diesen Punkten kommen noch Folgen hinzu, die man heutzutage noch gar nicht abschätzen kann. Allerdings zeigt dieses Beispiel, dass Erfindungen der Wissenschaft, der Wirtschaft und auch der gesamten Menschheit zwar große Vorteile bringen können wie das Penicillin jedoch auch ungeahnte Folgen haben. Ein Urteil, gewisse Erfindungen generell zu verbieten, ist jedoch nicht möglich, da die Folgen in jedem Fall unterschiedlich sind und so nicht pauschal gesagt werden kann, dass bestimmte Erfindungen eine zu große Gefahr darstellen. Dennoch sind wir der Ansicht, dass Wissenschaftler durchaus eine gewisse Verantwortung für die Menschheit tragen. Allerdings tragen sie diese nicht allein. Auch der Staat hat die Pflicht einzugreifen und auch die Menschheit sollte - in ihrem Sinne - sich untereinander kontrollieren, um den Missbrauch von Erfindungen nicht zu ermöglichen.
7. Aktualität des Dramas
In den vergangenen Tagen beschäftigten wir uns eingehend mit unserer Schullektüre „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt und deren Thematik. Obwohl Dürrenmatt dieses Theaterstück bereits 1962 geschrieben hat, hat es nichts an seiner Aktualität verloren. Das Stück handelt von einem Wissenschaftler, mit dessen neuester Entdeckung die Welt zerstört werden könnte. Um zu verhindern, dass dieses Wissen in die falschen Hände gerät, versteckt er sich als Patient in einem Irrenhaus. Wir haben uns gefragt, ob ein einzelner Mensch soviel Verantwortung tragen sollte, was geschieht, wenn ja und haben dies dann mit der heutigen politischen Situation verglichen.
Eine äußerst naheliegende und vergleichbare Situation wäre hier zum Beispiel Amerika, der Iran und dessen aktuelle Atompolitik. So hält ein Atomstreit mit dem Iran die Weltöffentlichkeit seit Wochen in Atem. Der Iran ist von den USA im Irak, Afghanistan, Saudi Arabien und den zentralistischen Staaten regelrecht eingekreist. Der gesamte Mittlere und Nahe Osten, also auch der Iran, liegt in der Reichweite von Israels Atomwaffen und diese Tatsache entfesselt momentan ein Wettrüsten in der gesamten Region. Zu dieser Aufrüstung gehört auch die vollständige Beherrschung der Nukleartechnologie. Hierbei spielt vor allem die Urananreicherung eine Schlüsselrolle, die alle politischen Instanzen im Iran als ein unverhandelbares Recht betrachten. So mag die Position des Irans zwar machtpolitisch und völkerrechtlich nachvollziehbar sein, ist aber dennoch inakzeptabel, da iranische Atomwaffen das genannte Wettrüsten im Nahen Osten nur noch verstärken würden. Die europäische Union verlangt nun vom Iran einen dauerhaften Verzicht auf Urananreicherung und betreibt auf diese Weise eine Politik mit zweierlei Maß: So werden die Atomwaffen Israels geduldet, dem Iran dieselben allerdings versagt.
Zweifellos stellt Wissen über Nukleartechnologie eine unermessliche Gefahr dar und verlangt Verantwortungsgefühl und diplomatische Fähigkeit zugleich. Aber wer hat das Recht zu entscheiden, welches Land über diese Qualifikationen verfügt und welches Land nicht? Wo befindet sich solches Wissen in den falschen Händen? Kann nicht jede Hand mit großem Wissen zu einer sogenannten „falschen“ Hand werden? Dies alles sind Fragen deren Antworten nicht leicht zu finden sind.
Der Wissenschaftler Möbius hat zwar erkannt, welche verheerenden Auswirkungen seine Entdeckung auf die Welt haben könnte und versucht, dies auf einem vermeintlich richtigen Weg zu verhindern. Aber ist seine Art zu handeln wirklich richtig – wiegt er doch im Laufe des Dramas Menschenleben gegeneinander auf, indem er, um die Menschheit zu retten, vor einzelnen Opfern nicht scheut?